Pilgerweg – Predigt zu Hebr. 12

 – von Monika Bertram –

Die Gnade Gottes, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen!

Eine Begebenheit von meiner Reise nach Korea zur 10. Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen möchte ich ihnen gerne erzählen:

U-Bahn fahren mit der Gruppe in Seoul

Wir haben unser Gepäck aus dem Hotel geholt und wollen dann mit der U-Bahn zum Bahnhof, wir haben es eilig, denn wir müssen einen Zug dort kriegen!
Einige sind im Hotel noch schnell aufs Klo, andere sind schon mal vorgegangen.
In diesen riesigen U-Bahn-Stationen, in denen wir die Schilder nicht lesen können, kann man sich verlaufen. Also, was machen?
Die Idee: an jeder Abzweigung bleibt einer stehen.
Also NICHT den anderen hinterherhetzten, die Angst, sie aus den Augen zu verlieren oder dass sie nicht warten.

DSC00785_klSondern: an der ersten Abzweigung bleibe ICH stehen, die anderen laufen weiter, ich kann sie nicht mehr sehen, muss mir aber nur die Richtung merken, in die sie gelaufen sind. Irgendwo wird jemand stehen und sagen, wo es lang geht und ich warte auf die, die langsamer sind.
Wenn die letzten kommen, dann kann ich mitgehen.
Das System hat mir gefallen, hat mich entlastet.

So kann es gehen, wenn man gemeinsam unterwegs ist.

Verantwortung habe ich für diejenigen, die hinter mir gehen.

Dieser Satz ist mir dazu eingefallen!

Ich komme gerade von Auswertungstagung der EKD zur Vollversammlung in Korea.
Dort haben wir viel über den Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens geredet.
Wie können wir uns aufmachen, uns einsetzten für eine bessere Welt, unterwegs sein, als weltweite Christenheit.
Wo gibt es vielleicht konkrete Wege, auf denen man Orte und Initiativen besuchen kann, wo Ideen umgesetzt werden, für Gerechtigkeit und Frieden, wie kann man die Menschen stärken, die sich dafür einsetzen.
Ein wichtiger Gedanke war, dass es auf einem Pilgerweg eigene Kraftorte braucht, Kraftorte, um weitergehen zu können, um sich zu engagieren, um nach denen zu schauen, die am Rande sind oder zurückbleiben!

Der Predigttext für den heutigen Sonntag erzählt auch von einem Weg. Gemeint ist hier der Weg des Glaubens, vielleicht auch der Weg des Lebens, der nicht immer einfach ist. Der Text spricht von müden Händen und wankenden Knien. Von strauchelnden Schritten wie bei Lahmen.
Und das kennen Sie sicher auch, dass einem die Kraftreserven ausgehen können. Im übertragenen Sinn, aber auch körperlich. Beim Wandern oder Sightseeing – beim Durch-die Stadt-laufen: das Gefühl, ich kann nicht mehr, die Beine und Füße sind so müde.
Aber eben auch auf unserem Lebensweg, auf unserem Glaubensweg, dem Weg zu Gott, auch da gibt es Durststrecken, Zeiten, in denen die Zweifel größer sind, die Kraft fehlt, um nach vorne zu schauen, weiterzugehen, etwas zu verändern.

Unser Predigttext will Mut machen. Er spricht davon, dass die Hände und Knie gestärkt werden müssen, die Schritte sicher gesetzt werden, damit man dem Frieden nachjagen kann, damit man sich einsetzen kann für Frieden und für den Glauben – damit niemand Gottes Gnade versäumt!

Ich lese den Predigttext aus dem Hebräerbrief: (Heb 12,12-25)

12 Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie 13 und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.
14 Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, 15 und seht darauf, daß nicht jemand Gottes Gnade versäume; daß nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden; 16 daß nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte.
17 Ihr wißt ja, daß er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte.
18 Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte und der mit Feuer brannte, und nicht in Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter 19 und nicht zum Schall der Posaune und zum Ertönen der Worte, bei denen die Hörer baten, daß ihnen keine Worte mehr gesagt würden; 20 denn sie konnten’s nicht ertragen, was da gesagt wurde: »Und auch wenn ein Tier den Berg anrührt, soll es gesteinigt werden.« 21 Und so schrecklich war die Erscheinung, daß Mose sprach: »Ich bin erschrocken und zittere.«
22 Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln, und zu der Versammlung 23 und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten 24 und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut. 25 Seht zu, daß ihr den nicht abweist, der da redet.

Schon der Name des Briefes – Hebräer – zeigt uns, an wen sich diese Worte richten: an Juden! Menschen, die mit dem jüdischen Glauben und dem Alten Testament bestens vertraut waren. So argumentiert der Hebräerbrief auch mit kenntnisreichen Zitaten aus dem Alten Testament:
… daß nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte.

Ganz kurz erzähle ich die Geschichte von Esau und seinem Bruder Jakob:
Jakob hat, als Esau hungrig von der Jagd nach Hause kam, dem Bruder einen – nicht ganz fairen – Handel angeboten: „Du gibst mir deine Rechte aus deiner Erstgeburt. Ich gebe dir dafür die Linsensuppe, die ich gerade zubereitet habe.“
Es war sehr leichtfertig, dass Esau auf diesen Handel eingegangen ist.
Und das nur, weil er Hunger hatte, weil er vielleicht an dem anstrengenden Tag keine Pause zum Essen gemacht hat.

Der Erstgeborene zu sein, bedeutete, zum Erbe des Vaters auch noch den Segen zu bekommen. Hier hat also ein Mensch für eine Speise, auch noch ein ganz einfaches Linsengericht, alles weggeworfen, was ihm nach dem Recht Gottes und der Menschen zugestanden hätte.

Ich denke, dass auf diese Geschichte angespielt wird, um uns daran zu erinnern, immer genug Pausen zum Kraftschöpfen zu machen, und dass wir nicht leichtfertig etwas dummes machen, nur weil wir müde, ko oder hungrig sind; Fehler, die wir später bereuen und nicht wieder gut machen können.

Eine weitere Anspielungen aus dem Alten Testament beziehen sich auf den Gegensatz zwischen dem Mose-Berg Sinai und dem Berg Zion.

18 Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte und der mit Feuer brannte, und nicht in Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter (…)
22 Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem

Am Berg Sinai lagerte das Volk auf der Flucht aus Ägypten, den Berg selber durfte nur Mose bestiegen, den anderen war es streng verboten. Hier auf dem Berg Sinai hat Mose die 10 Gebote empfangen, hier hat Gott sich dem Volk Israel gezeigt.
Die Erinnerungen vom Volk Gottes an diesen Berg sind zwiespältig: denn Gottes Erscheinung war furchterregend, und hier haben sie sich ihr Goldenens Kalb (einen „Ersatz-Gott“) geschaffen und sind um es herum getanzt.

Der zweite Berg, der Berg Zion, soll das Ziel des Glaubenswegs sein. Zion war der ursprüngliche Name einer Festung in Jerusalem. Später bezeichnete Zion dann den Tempelberg und wurde schließlich zu einem Synonym für Jerusalem.

Mit diesen beiden Bergen wird auf den Auszug aus Ägypten angespielt, und darauf wie schnell man sich eigene Götter schafft, nicht mehr auf den Gott der Bibel vertraut, wenn es mal nicht so weitergeht, wie wir uns das wünschen.

Vom Mose-Berg Sinai bis ins Gelobte Land nach Jerusalem.

Auch hier begegnet uns wieder das Motiv des Weges, der Weg des auserwählten Volkes, auch ein Glaubens- und Lebensweg, der für die Juden bis heute wichtig ist.
Ein Weg, auf dem die Menschen erfahren haben, dass Gott sie – auch in schweren Zeiten begleiten, dass Gott sie versorgt, Orte schafft, wo die Menschen Kraft schöpfen können, wo sie mit Essen versorgt werden, dass es ihnen nicht ergeht wie Esau.

Die für mich sind die Verse 14-15 die wichtigsten:

14 Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, 15 und seht darauf, daß nicht jemand Gottes Gnade versäume;

Dem Frieden nachjagen und darauf achten, dass niemand Gottes Gnade versäumt.
Gemeinsam auf dem Weg sein, heißt, darauf achten, dass niemand auf der Strecke bleibt oder verloren geht.
Gemeinsam auf dem Weg sein, heißt den anderen bei der Suche nach dem richtigen Weg zu helfen, Wegweiser aufzustellen, Achtungsschilder und Rastplätze zu schaffen, wo müde Hände und wankende Knie gestärkt werden, so dass man gesund werden kann.

Auf dem Weg sein heißt auch über den Tellerrand hinaus zu schauen: Dazu fordert uns der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens auf.
Zu denen zu gehen, die am Rand der Gesellschaft stehen, eine besser Welt zu schaffen, in der ALLE Platz haben, in der Gerechtigkeit und Frieden regieren.
Flüchtlinge und Asylanten, Arbeitslose und Arme, Minderheiten und Marginalisierte nicht zurückzulassen, sondern für ihre Rechte einzutreten.

Verantwortung habe ich für diejenigen, die hinter mir gehen.

 Was heißt das konkret oder wie funktioniert so ein gemeinsamer Weg – ein Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens, wie es der ÖRK beschlossen hat.

 Zum einen könnte ich mir hier für unsere Gemeinde in Seeheim-Malchen vorstellen, einen solchen Weg zu suchen und dann gemeinsam zu gehen.
Einen Weg, auf dem alle, die ihn gehen, Kraft schöpfen, wo wir ins Gespräch kommen, mit Menschen anderer Konfessionen, wo wir die besuchen und mitnehmen, die am Rande stehen, wie die Flüchtlinge im Balkhäuser Tal, wo wir die stärken, die sich für eine gerechte Welt engagieren, z.B. die Mitarbeiterinnen in der Demenz-WG in Jugenheim.

Verantwortung habe ich für diejenigen, die hinter mir gehen.

Eine andere Begebenheit möchte ich ihnen dazu noch zum Abschluß erzählen:

DSC_0234_klWir waren Pilgern mit dem Dekanat (auf einem Teil des fränkischen Jakobsweg), eine große Gruppe war da unterwegs und wir hatten zum Teil sehr unterschiedliche Lauf-Tempi.
Eine Kollegin und ich sind zusammen gegangen und wir waren sehr ins Gespräch vertieft. Die Leute vor uns im aber immer im Augenwinkel, damit wir den Weg nicht verlieren.
Als die eine Pause machen, fragen sie: „Wo sind denn die beiden Kollegen hinter euch?!?“
Wir: „Keine Ahnung!“ Die haben wir völlig vergessen und aus dem Blick verloren.
Hoffentlich haben sie alle Abzweigungen mitbekommen und den richtigen Weg gefunden?!?
Sehr peinlich war uns das!!

Verantwortung habe ich für diejenigen, die hinter mir gehen.

Die beiden Kollegen stießen irgendwann wieder zur Gruppe dazu, sie hatten den Weg auch alleine gefunden.
Aber ich hatte meine Lektion gelernt:

Verantwortung habe ich für diejenigen, die hinter mir gehen.

 Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen!

Ein Gedanke zu “Pilgerweg – Predigt zu Hebr. 12

  1. Liebe Monika,
    eine ganz tolle Predigt! Danke – das macht richtig Mut, in einer Woche, in der ich gerade eher den Überblick verliere. LG Martin

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